Dr. jur. Marie Raschke, Lehrerin und Juristin (1850-1935)

Beruf und Verdienste

Nachdem Marie Raschke im Jahr 1880 in Berlin das Lehrerinnen-Examen für mittlere und höhere Mädchenschulen besteht, erhält sie zunächst eine Anstellung bei einer privaten höheren Mädchenschule. Im Jahr 1883 wird sie als städtische Lehrerin in Berlin angestellt.

 

Sie erkennt sehr schnell, dass Mängel im Schulsystem und in den geltenden Gesetzen nicht leicht abzustellen sind. Seit 1880 gilt das Lehrerinnenzölibat, welches bei Heirat dem weiblichen Lehrpersonal die Entlassung und den Einzug der Pension androht. Die Bezahlung der Lehrerinnen ist geringer als die der vergleichbaren männlichen Lehrkräfte. Und Aufstiegsmöglichkeiten, z. B. zur Leitung einer Mädchenschule, sind nicht gegeben.
Aber alle ihre Bemühungen, durch Eingaben an die vorgesetzten Stellen eine Änderung herbei zu führen, bleiben ohne Erfolg.

 

Vermutlich reift daher ihre Erkenntnis, dass Änderungen nur über eine Beeinflussung der Gesetzgebung möglich sind. Da eine Immatrikulation für Frauen zur damaligen Zeit in Deutschland nicht möglich ist, besucht sie ab 1896, neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin, Vorlesungen der Rechtswissenschaften als Gasthörerin. Gleichzeitig ist sie Gründerin oder Mitbegründerin verschiedener Vereine der Frauenbewegung.

 

Zum Zeitpunkt der Beratungen und Verabschiedung des reformierten Bürgerlichen Gesetzbuches 1896 ist sie Vorsitzende der Berliner "Centralstelle für Rechtsschutz" und der "Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine". Aber auch eine ganze Reihe rechtspolitischer Publikationen und eine Petition an den Reichstag bringen keine Erfolge für die Rechtsstellung der Frauen.

 

Nach einer Immatrikulation an der Universität Bern kann sie 1899 ihr Studium der Rechtswissenschaften mit der Promotion abschließen. Nach Berlin zurück gekehrt, tritt sie nicht wieder in den Schuldienst ein, sondern führt Rechtskurse für Frauen zum Familienrecht durch, abeitet bei einem Anwalt und vertritt Mandanten vor Gericht.

 

Aus gesundheitlichen Gründen muss sie sich 1920 aus dem Berufsleben zurück ziehen.

Lebensdaten und Familie

Einige Biografien geben an, Marie Raschke sei Tochter eines Rittergutsbesitzers in Pommern. Das Kirchenbuch der ev. Kirche in Budow/Kr. Stolp in Pommern besagt jedoch, dass ihr Vater lediglich der Gutspächter war. Das Rittergut Gaffert, welches zur ev. Gemeinde in Budow gehörte, war von 1800-1945 im Besitz der Familie von Mach.

 

Im Taufregister 1850, Nr. 19, ist der Geburts- und Taufeintrag zu finden:
RASCHKE, Alwine Maria Ottilie
* 25.01.1850 in Gaffert
~ 15.02.1850 in Budow
+ 15.03.1935 in Berlin
Die Eltern sind Gutspächter Johann Adam Ferdinand Raschke und Johanna Florentine Friederike geb. Piepkorn.
Frau Hauptmann von Mach in Gaffert, Frau Prediger Wilm in Budow und Herr Gutspächter Heiligendorf in Damerkow sind als Paten vertreten.

 

Ihre Eltern leben in finanziell guten Verhältnissen und stellen für die ersten Schuljahre eine Privatlehrerin und Erzieherin ein. Später wechselt Marie in das Pensionat eines Landpfarrers. Nach Abschluss der Schulzeit lernt sie in ihrem Elternhaus alles, was zur Führung eines großen Haushalts dazu gehört. Daneben befasst sie sich mit Geschichte, Literatur und Sprachen.

 

Eine jähe Wende bringt der Verlust des gesamten Vermögens der Eltern mit sich. Marie zieht es nach Berlin, wo sie nach kurzer Vorbereitung im Jahr 1880 das Lehrerinnen-Examen für mittlere und höhere Mädchenschulen ablegt. Zunächst an einer privaten höheren Mädchenschule eingesetzt, erhält sie 1883 eine Anstellung als städtische Lehrerin in Berlin.

 

Sehr bald erkennt Marie die strukturellen Mängel im Schulsystem und ganz allgemein die Restriktionen der Frauen im Berufsleben. Von ihren Reisen nach Norwegen bringt sie viele gute Ideen zur Verbesserung der Organisation der Schulen mit, die sie in einem Artikel "Zur Reorganisation der höheren Mädchenschulen" zusammenfasst und an das zuständige Ministerium schickt. Aber sie stößt dort auf Ablehnung und erkennt wohl, dass sie nur etwas bewirken kann, wenn sie sich mit gleichgesinnten Frauen zusammenschließt und versucht, die Rechtsstellung der Frau zu verändern.

Sie gründet 1889 den "Verein Berliner Volksschullehrerinnen". Im Jahr 1894 tritt sie dem Verein "Frauenwohl" bei und stellt am Tag ihrer Aufnahme den Antrag, der Verein solle Protest gegen den Entwurf des Familienrechts des neuen bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich einlegen. Zusammen mit Frau Sera Proelß erhält Marie den Auftrag, eine Zusammenstellung von Benachteiligungen der Frauen zu erarbeiten, die den deutschen Frauen mit dem neuen Gesetzbuch drohen.

 

Im Wintersemester 1896/97 beginnt sie mit dem Studium der Rechtswissenschaften. Da zu dieser Zeit für Frauen ein regelrechtes Studium an einer deutschen Universität nicht möglich ist, nimmt sie an den Vorlesungen als Gasthörerin teil.
1897 gründet sie den "Verein studierender Frauen" und wird dessen Vorsitzende. Erst als die Frauen 1908 in Preußen das Immatrikulationsrecht erhalten, wird ihr Verein auch von der Universität offiziell zugelassen.
Um ihr Studium mit einer Promotion abschließen zu können, immatrikuliert sich Marie an der Universität Bern. Die dortige Alma Mater, wie auch die übrigen in der Schweiz, ließ bereits ab 1867 Frauen zum ordentlichen Studium zu. Im Dezember 1899 wird Marie Raschke mit "magna cum laude" promoviert. Ihre Dissertation trägt den Titel "Der Betrug im Civilrecht".

 

Wieder in Berlin zurück nimmt Marie den Lehrerinnenberuf nicht mehr auf. Sie bietet vielmehr Rechtskurse für Frauen an und vertritt Mandantinnen vor Gericht. In vielen Vereinigungen ist sie Mitglied und nimmt teilweise Schlüsselstellungen für die Frauenbewegung ein. Beispiele sind die Juristische Gesellschaft zu Berlin (1900), der Deutsche Juristentag (1904), Aufsichtsratvorsitzende der Frauenbank (1908) und Schriftleiterin der Zeitschrift Frauenkapital (bis 1915). Gemeinsam mit Marie Munk und Margarete Berent gründet sie 1914 den Deutschen Juristinnenverein, einen Vorläufer des heutigen Juristinnenbundes. In den 20er Jahren zieht sich Marie Raschke aus der Öffentlichkeit zurück und 1935 verstirbt sie unverheiratet in Berlin.

 

Auch wenn die von ihr verfolgten Ziele im Zusammenhang mit dem neuen Gesetzbuch nicht erreicht wurden, hatte ihre Arbeit großen Erfolg in der Stärkung der bürgerlichen Frauenbewegung für die Gleichberechtigung der Frauen.

Werke (Auszug)

  • Zur Reorganisation der höheren Mädchenschulen, Universitätszeitung vom 1. April 1893
  • Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch (Co-Autorin: Sera Proelß), Berlin 1895
  • Die Notwendigkeit der Einführung von Gesetzeskunde als obligatorischer Lehrgegenstand in Schulen, Berlin 1897
  • Der Betrug im Civilrecht, Dissertation, Bern 1899/1900
  • Vormundschaftsrecht, Berlin 1901
  • Rechtsbücher für das deutsche Volk (als Herausgeberin), 7 Bde, Berlin ab 1901
  • Das Eherecht (als Co-Autorin von Kurt Rosenfeld), Berlin 1902
  • Populäre Rechtskatechismen (als Herausgeberin), 9 Bde, Berlin/Halle ab 1905
  • Zahlreiche Artikel rechtspolitischen Inhalts zur Stellung der Frauen

Benutzte Quellen

  • Ev. Kirchenbuch Budow/Kr. Stolp, Taufen 1850, Nr. 19
  • Eintrag bei Wikipedia, Marie Raschke (abgerufen 17.08.2017)
  • Biographie Marie Raschke bei FemBio (abgerufen 17.08.2017)
  • Biographie Marie Raschke bei Leibnitz Universität Hannover, Juristische Fakultät, (abgerufen 17.08.2017)
  • Repgen, Tilman, "Raschke, Marie" in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 159-160 [Online-Version, abgerufen 17.08.2017)
  • Bild Dr. jur. Marie Raschke, Berlin, bei Nomos eLibrary (abgerufen 17.08.2017)