Christian Meier
Christian Meier wurde am 16. Februar 1929 in Stolp im hinteren Pommern als Sohn eines Landwirtes im beratenden Dienst geboren; sein Großvater war Altphilologe. Über seine Kindheit schätzt er als gereifter Mann ein, dass er kein schwieriges Elternhaus hatte und seinen Vater nennt er als großzügigen Mann gutbürgerlicher Herkunft, aber nicht allzu bürgerlicher Gesinnung. Ab 1940 besuchte er das Gymnasium in Stettin, es folgten Rostock und Hamburg. Nach dem Abitur begann er das Studium in Frankfurt am Main, später in Heidelberg. Seine Fächer waren Geschichte, Klassische Philologie und Römisches Recht.
1956 promovierte er im Fach Alte Geschichte bei Prof. Hans Schaefer in Heidelberg. Er folgte einem Ruf nach Frankfurt und war dort Schüler bei den Professoren Hermann Strasburger und Matthias Gelzer im Lehrstuhl für Alte Geschichte. 1962 habilitierte er in Frankfurt am Main mit dem Thema „Res Rublica Amissa – eine Studie zur Verfassung und Geschichte der späten römischen Republik“. Diese Arbeit wurde 1966 in Wiesbaden verlegt. Gemeinsam mit Strasburger publizierte er 1962 bis 1964 die „Kleinen Schriften“ des Althistorikers Gelzer.
Ab 1964 wirkte er als Privatdozent in Freiburg im Breisgau. Es folgte eine Professur für Alte Geschichte in Basel 1966 und 1973 und dazwischen in Köln. 1970 erschien die 1. Auflage „Die Entstehung des Begriffs ‚Demokratie‘. Vier Prolegomena zu einer historischen Theorie“. 1980 folgte „Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar, drei biographische Skizzen“ und 1982 „Caesar“, seine bekannteste und umfangreichste Caesar-Biografie. 1988 veröffentlichte er „Die politische Kunst der griechischen Tragödie.“ Prof. Aloys Winterling (Univ. Bielefeld) bemerkte dazu als Vorredner des Vortrages von Meier 2005 in Dresden: „In ihm wird die zentrale kulturelle Errungenschaft der griechischen Gesellschaft analysiert und in neuer Weise historisch gedeutet. Meier weist dort die Zusammenhänge von politischem Wandel, Kontingenzerfahrung und mentaler Infrastruktur in der athenischen Gesellschaft des 5. Jahrhunderts v. Chr. nach. Die Griechen, so seine These, brauchten die Tragödie, um das Neue, das sie geschaffen hatten, und die damit verbundenen Unsicherheiten und Ängste in einem spezifischen Medium zu reflektieren und zu verarbeiten – einem Medium zudem, das bis heute nichts an Faszination eingebüßt hat.“ 1988 erschien von ihm zusammen mit Paul Veyne „Kannten die Griechen die Demokratie? Zwei Studien“ und zu dieser Thematik 1993 „Athen, ein Neubeginn der Weltgeschichte“. Diese Arbeit wurde international stark beachtet und ins Englische und Italienische übersetzt.
Neben seinen Arbeiten als Altphilologe wurde er auch in der Osteuropaforschung wirksam. 1970 erschien sein Aufsatz „Die DDR und die europäische Sicherheitskonferenz“. 1981 wechselte er nach München und hatte bis 1997 den Lehrstuhl „Alte Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ und war dort von 1981 bis 1995 Kurator des Münchner Historischen Kollegs. 1980 bis 1988 war Meier Vorsitzender der „Historiker Deutschlands“. In dieser Funktion amtierte er 1980 auf dem Internationalen Historikertag in Bukarest und nahm im Oktober 1981 am deutsch-sowjetischen Historikertreffen in Moskau teil. Meiers Arbeit wurde belastet durch das gespannte Verhältnis zur Historiker-Gesellschaft der DDR. Sein Abschlussvortrag 1988 in Bamberg stand unter dem Titel „Die Welt der Geschichte und die Provinz des Historikers“. Er wirkte darüber hinaus auch in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Als Historiker bemühte sich Meier zunehmend auch um provokante Themen und setzte sich Widersprüchen aus; bezeichnend dafür war „Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns. Vom öffentlichen Umgang mit schlimmer Vergangenheit“. Dabei stellte er auch altübernommene historische Leitsätze infrage. 1987 erschien in München „Vierzig Jahre nach Auschwitz, deutsche Geschichtserinnerung heute“. Damit war er im „Historiker-Streit“ um das Problem deutscher Geschichtserinnerung stark involviert: Wie lebt ein Volk mit dieser Erinnerung? Meier fasst seine Gedanken dazu zusammen: „Es ist gewiss nicht so, dass alles Vergangene einfach verginge. Vieles behält seine Nachwirkung über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte hinweg. Bestimmtes wird wach gehalten im öffentlichen Gedächtnis, alles Mögliche wird von der Geschichtsschreibung immer neu präsentiert. Und doch scheint es da einen Unterschied zu geben. Unbeschadet der Nachwirkungen und des Gedenkens kommt es normalerweise irgendwann dazu, dass eine Vergangenheit sich nicht mehr von selbst den Lebenden aufdrängt und sie nicht mehr umtreibt. Von da ab ist sie gleichsam nur mehr im Status bloßen Wissens vorhanden und auf die künstliche Vergegenwärtigung angewiesen. Dann erscheint sie den Lebenden, so sehr sie die Geschichte ihres Volkes als die ihre ansehen mögen, nicht mehr als das unmittelbar eigene, das selbst historisch zu Verantwortende …“
1992 wurde Christian Meier Mitglied der der „Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung“ in Darmstadt, deren Präsident er von 1996 bis 2002 war. In seiner Antrittsrede bescheinigt er sich selbst auf seine Jugend rückblickend „ein skeptisch-konservatives Temperament samt leidenschaftlicher Realitätssuche“.
Kurz nach der deutschen Einheit erschien 1990 „Deutsche Einheit als Herausforderung – welche Fundamente für welche Republik?“ und 1991 „Die Nation, die keine sein will“. 1999 wurde er vom Präsidium des Bundestages gebeten, eine Arbeit zum 50. Jahrestag des Grundgesetzes zu schreiben. Es erschien „Die parlamentarische Demokratie: 50 Jahre Deutscher Bundestag“. Es sollte ein verständliches Standardwerk zur parlamentarischen Demokratie werden, war aber durch seinen Sprachstil nicht unumstritten.
2002 erhielt Meier den pommerschen Kulturpreis. Bekannt wurde er für seine Dankrede dafür unter dem Titel „In der Mitte Europas.“ Er war leidenschaftlich in die Polemik über die Reinheit der deutschen Sprache verwickelt. 1999 kam die Arbeit „Sprache in Not? Zur Lage des heutigen Deutsch“ – wozu er die Einleitung schrieb. Meier ermutigte darin zu distanzierterer Betrachtung und zum sprachlichen Eigensinn. Er beklagt aber auch den Rückzug der deutschen Sprache aus ganzen Teilen der Wissenschaft und umgekehrt die englische Sprache sogar als Konferenzsprache auf innerdeutschen Kongressen – und gibt zu bedenken, dass „eine seit Langem bewährte Wissenschaftssprache in bestimmten Bereichen nicht mehr an dem Bemühen teilnimmt, neue Erkenntnisse zu formulieren und um ihre Vermittelbarkeit zu ringen“.
Auch zum 50. Jahrestag der Gründung der Akademie für Sprache und Dichtung ging er auf die deutsche Sprache ein: „Als die Akademie gegründet wurde, hatte man zuvörderst die Sprache im Auge, die Reinigung der unter den Vorzeichen des NS-Regimes so vielfältig missbrauchten und geschändeten deutschen Sprache und ihre ‚Reinhaltung‘ in Zukunft.“
1998 wurde er – wohl aufgrund seiner Beredsamkeit – mit dem CICERO-Rednerpreis geehrt. 2003 bekam er den Jacob-Grimm-Preis, einer Auszeichnung für Pflege der deutschen Sprache als weltweite Kultursprache. In der Rede zur Preisübergabe würdigte Eberhard Schöck, Stifter des Kulturpreises Deutsche Sprache, die „prophetischen“ Aussagen von Christan Meier zur deutschen Nation und zur parlamentarischen Demokratie. Als weitere Ehrung folgte 2004 der Ernst-Hellmut-Preis der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. 2006 überreichte ihm der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst. 2007 wurde er mit dem Reuchlinpreis der Stadt Pforzheim geehrt. 2009 bekam er die Lichtenberg-Medaille der Akademie der Wissenschaften in Göttingen in der Philologisch-Historischen Klasse und 2014 der Bayerische Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst.
Meier ist auch bekannt durch viele Artikel in Lexika und Zeitschriften. Zudem ist er im Beirat der Zeitschrift DAMALS, die sich als populär-wissenschaftliche Zeitschrift an einen breiten Leserkreis wendet. 2005 war er Referent bei den „Dresdner Reden“. In der Begrüßung wurde er als „einer der bedeutendsten deutschen Historiker und einen der schärfsten Analytiker seiner Zeit“ gewürdigt. In seiner Rede sprach er ein breites Publikum an und widmete sich u. a. der Relativität des menschlichen Empfindens: „Unabhängig vom Lebensalter können in der gleichen Zeit, in denselben Jahren Lebenden, die Zeitgenossen dem Denken, Handeln, Fühlen nach mehr oder weniger verschiedenen Zeitaltern angehören …“ Er vermittelte eine „Ortsbestimmung der Gegenwart“, entwickelte Gedanken zur „Postmoderne“ und sagte dazu: „Wir erfahren eine welthistorisch hochbedeutsame Epochenwende“.
Bedeutende Werke in seinem späten Schaffen sind: „Von Athen bis Auschwitz. Betrachtungen zur Lage der Geschichte“ (2002), „Kultur um der Freiheit Willen. Griechische Anfänge – Anfänge Europas?“ (2009). 2010 erschien „Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns – vom öffentlichen Umgang mit schlimmer Vergangenheit“. Wiederum stellt er kritische Fragen zum Umgang mit der deutschen Vergangenheit, aber auch zur deutschen Einheit und zum Umgang mit der ehemaligen DDR und ihren Eliten. Dabei greift er als Althistoriker weit in die Vergangenheit zurück und warnt vor einer einseitigen Geschichtsbetrachtung. Als vorerst letztes Werk folgte 2014: „Der Historiker und der Zeitgenosse – eine Zwischenbilanz“. Im Verlagstext heißt es dazu – auch als Würdigung des Lebens von Prof. Meier gedacht: „Wie hängt die Arbeit des Historikers mit seiner eigenen Biographie und seiner eigenen Lebenszeit zusammen? Was kann Geschichtsschreibung für die Gegenwart leisten? Über diese Fragen hat Christian Meier, der renommierteste Althistoriker Deutschlands, immer wieder nachgedacht. Anlässlich seines 85. Geburtstages zieht er nun Bilanz über die Probleme …“ Tragende Säulen dieser Arbeit sind dabei seine Antrittsvorlesung 1968 in Basel und seine Abschiedsvorlesung 2012 an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dazwischen spannt er einen großen Bogen deutscher Geschichte und auch persönlicher Erinnerungen.
Klaus Heyden, 2015
Bildquelle: Akademietag 2015 an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften im Akademiegebäude am Gendarmenmarkt. Thema: „Alte Welt heute: Perspektiven und Gefährdungen“. Bild: Althistoriker Professor Christian Meier. Foto: Marcus Cyron/Wikipedia, 2015
Hinweis zum Vorlass:
o. A.: Gelehrtenarchiv geht nach Marbach, in: Bietigheimer Zeitung, 15.12.2015, URL: http://www.swp.de/bietigheim/lokales/landkreis_ludwigsburg/Gelehrtenarchiv-geht-nach-Marbach;art1188795,3587933#, Stand der Abfrage: 18.12.2015