Stolper Kalenderblatt
Historisches (April 2010)
von Henry Kuritz (Kommentare: 0)
Wie die Stolper Altstadt eingemeindet wurde
Auf dem Gebiet der heutigen Stadt Stolp haben jahrhundertelang zwei Gemeinwesen, die räumlich und rechtlich von einander getrennt waren, nebeneinander bestanden. Auf dem rechten Stolpeufer lag die aus einer alten wendischen Siedlung hervorgegangene Altstadt und ihr gegenüber auf dem linken Ufer die von deutschen Ansiedlern um 1300 gegründete, in ihrem Kern von Mauern umschlossene Rechtstadt Stolp.
Die Altstadt (heutige Hörne, Töpferstadt, Poststraße, Petristraße, östliche Wilhelmstraße, Quebbe, Hundestraße) stand unter Bauernrecht, das deutsche Gemeinwesen hatte Stadtrecht, nämlich Lübisches Recht. - Es gab also – kraß ausgedrückt – dicht nebeneinander die Stadt Stolp mit einem Bürgermeister an der Spitze und das Dorf Stolp mit einem Schulzen als Oberhaupt. So war es noch vor 120 Jahren.
Auf der Altstadt wohnten um 1800 herum fast lauter Handwerker. Unter den 66 Haus- und Gartenbesitzern der Altstadt gab es 25 Weber, vier Tuchmacher, vier Leineweber, neun Fuhrleute, zwei Rademacher, drei Höker, ein Schuhmacher, ein Tagelöhner, ein Kornschipper, ein Förster, ein Grenadier, ein Böttcher, ein Maurer, ein Schneider und neun andere Leute.
Die Altstädter unterstanden dem Königlichen Domänen-Amt. - Die Gerichtsbarkeit, d. h. Polizeigewalt, Zivil- und Kriminal-Jurisdiktion übte das Kgl. Domänen-Justizamt Stolp aus. Alle Abgaben aus der Altstadt flossen in die Amtskasse. Die Altstädter hatten jährlich für das Haus drei Groschen, für den Garten 1–14 Groschen Pacht an das Amt zu entrichten. Schwierigkeiten bei der Aufstellung des jährlichen Haushalts-Voranschlages kannte die altstädtische Gemeinde um 1800 noch nicht. Es kamen jährlich an Haus- und Gartenpacht 22 Taler, 12 Groschen und 4 Pfennig ein. Davon erhielt das Amt 20 Taler, 20 Groschen und 10 Pfennig. Der Rest von 1 Taler, 15 Groschen und 6 Pfennig blieb (nach Abzug von 10 Groschen für Einsammeln der Pacht) zur Bestreitung von Gemeindeausgaben.
Die Altstädter („die Amts-Jurisdiktions-Eingesessenen“) spielten – man kann wohl sagen – die Rolle von Stiefkindern in der großen Familie Stolp. Sie hatten „von alten Zeiten her“ kein Mithütungsrecht auf dem Stadtfelde. Wollten sie gleichwohl ihr Vieh auf die gemeinschaftliche Weide der Stolper Bürger bringen, mussten sie einen Antrag an die Feldbau-Gilde (Zunft der Ackerbürger) stellen und besonderes Weidegeld bezahlen. Für ihre Schweine mussten sie einen eigenen Hirten halten. Auf der Altstadt gab es keinen Marktplatz, und Bäcker, Fleischer, Brauer, Branntweinbrenner und Kaufleute durften sich dort nicht ansiedeln. Bis 1761 hatten die Altstädter noch bestimmte Scharwerksdienste zu leisten. Zu ihren Obliegenheiten gehörte es, den Graben an den Schmiedewiesen und die alte Stolpe aufzuräumen, sowie bei den Brücken zu rammen. Am unangenehmsten war die Verpflichtung, das „Grentz- und Ziegelholtz“, das den Strom herabgeflößt wurde, aus dem Holzgraben herauszuziehen und aufzusetzen, wobei sie oft bis zum halben Leibe im Wasser stehen mussten. Erst 1761 wurden diese Dienste gegen eine jährliche Zahlung von einem Taler von jedem Hausbesitzer abgelöst.
Um 1800 tauchte der Plan auf, die Amtsgerichtsbarkeit aufzuheben und die Altstadt sozusagen der Recht-Stadt einzugemeinden. Von diesem Plan waren weder die Altstädter noch die Bewohner der Rechtstadt übermäßig entzückt.
Bei den Altstädtern war es wohl mehr die Scheu vor Neuerungen, die sie wünschen ließ, einen altgewohnten Zustand beizubehalten. Sie waren mit der Eingemeindung nur einverstanden, wenn ein offenbarer Vorteil für sie dabei heraussprang, wenn nämlich die jährlichen Abgaben, die solange für einen Hausbesitzer der Altstadt insgesamt etwa 2 bis 2 ½ Taler betrugen, auf den Satz der Stadt-Eingesessenen (21 Groschen 6 Pfennig) herabgesetzt wurden.
Bei den Bürgern der Rechtstadt machten sich Befürchtungen geltend, dass ihr Einkommen geschmälert werden könnte, wenn die Altstädter ohne weiters in die Stadtgemeinde aufgenommen würden. Sie schlugen deshalb bestimmte Sicherungen vor:
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Es sollte kein uneingeschränkter Verkehr zugelassen werden, d. h. Bäcker, Fleischer, Brauer, Branntweinbrenner und Kaufleute sollten sich nicht auf der Altstadt ansiedeln dürfen.
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Die Benutzung der Weide sollte den Altstädtern nur gegen besondere Zahlung an die Feldbaugilde-Kasse gestattet sein, wie bisher.
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Auf der Altstadt sollte kein Marktplatz eingerichtet werden. Es sollte überhaupt alles bleiben wie bisher; die Altstädter sollten nur die Möglichkeit erlangen, das Bürgerrecht zu erwerben. Statt unter Bauernrecht sollten sie fortan unter Lübischem Recht leben. Das verschaffte ihnen gewisse Vorteile in Ansehung der Erbfolge, Erbteilung und Bezahlung der Schulden.
Die Beamten der Königlichen Akzise betrachteten die Eingemeindung vom Standpunkt der Zöllner. Ihnen war es ein Greuel, wenn etwa ein Sack Mehl oder ein Pfund Butter dem Verbrauch zugeführt wurde, ohne dass am Stadttore der vorgeschriebene Zoll erlegt war. Die Akzise-Beamten forderten deshalb, dass bei einer etwaigen Eingemeindung alle Möglichkeiten einer Zollhinterziehung unterbunden würden, nötigenfalls müsste die Altstadt mit Mauern oder Pallisaden eingefasst werden. So ganz unberechtigt war das Misstrauen der Akzise-Beamten nicht. Es ging damals das heimliche Reden, dass öfter über den Radeberg geschlachtete Schweine und Kälber ins Stadtgebiet eingeschmuggelt würden.
Die Königliche Regierung war einverstanden, wenn die Stadt Stolp alle Abgaben, die von der Altstadt aufgebracht wurden (99 Taler in ganzen) zu ihren Lasten übernehmen wollte. Dazu war aber die Stadt nicht bereit.
Es gab also viele Widerstände, darum wurde der Plan der Eingemeindung vorläufig nicht verwirklicht. Erst im August 1813 wurde die Vereinigung der Altstadt mit der Rechtstadt vollzogen.
E.
(abgeschrieben aus: Ostpommersche Heimat Nr. 3 / 1934 von Dietrich Schröder, Lampertheim)
Dies erklärt auch, warum im Stolper Bürgerbuch, in dem ja die Neubürger, d. h. Personen, die das Bürgerrecht erworben hatten, eingetragen wurden, bei so vielen als Herkunftsort „Stolp“ eingetragen wurde.
Die Bezeichnung „Stolp-Altstadt“ gab es noch bis 1945, indem der Kreis Stolp kirchenrechtlich geteilt war in den Kirchenkreis Stolp-Stadt mit der Marienkirche als Hauptkirche innerhalb der Stadtmauern und den Kirchenkreis Stolp-Altstadt mit der St. Petri-Kirche als Hauptkirche auf dem rechten Stolpe-Ufer.
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