Stolper Kalenderblatt

Geschichten (Dez./Jan.)

von Henry Kuritz (Kommentare: 0)

Horch – Die Tiere sprechen in der Heiligen Nacht

von Klaus Granzow

 

Dass unser Knecht Oskar abergläubisch war, störte meine Mutter eigentlich nur zur Weihnachtszeit. Zum Fast-Abend und zur Ernte gab es so viele Bräuche bei uns in Hinterpommern, dass man nicht unterscheiden konnte, welche heidnischen und welche christlichen Ursprungs waren. Man beschwor in den Heiligen Zwölf Nächten in der Gestalt des Schimmelreiters den Gott Wotan, der mit Sturmhut und stahlblauem Wettermantel auf seinem achtbeinigen weißen Ross Sleipnir über Land und See fegte und verehrte in dem Knecht Ruprecht den Begleiter des Christkindes, das die Ankunft des Erlösers vorbereitete.
Heidnisch-christlichen Ursprungs war auch die Legende, dass die Tiere in der Christnacht für eine Stunde die menschliche Sprache erhielten, weil Ochs' und Esel einst im Stall zu Bethlehem den Schlaf des Jesuskindes bewacht hätten.
An diese alte Sage glaubte unser Oskar ganz fest, und sein Aberglaube war ihm mit guten Worten nicht auszureden. Also mussten wir es mit drastischeren Mitteln versuchen, ihn von seinem Wahn zu heilen.
Während des ausgedehnten Festschmauses am Heiligen Abend sprachen wir Kinder immer wieder davon, was die Tiere sich wohl heute um Mitternacht erzählen würden, und wir bedauerten es, dass wir nicht wie Oskar an einem Sonntag geboren worden waren, denn wir wussten von unserem Knecht, dass nur Sonntagskinder die Tiere verstehen konnten. Wir baten ihn deshalb inständig, uns doch am anderen Morgen sogleich zu berichten, was die Kühe für das nächste Jahr prophezeien würden. Oskar zierte sich zuerst wohl ein bisschen, aber zuletzt versprach er uns doch, alles zu erzählen, was das Vieh so reden würde.
Während Oskar nun in seine Kammer ging, um seine Manchesterhose anzuziehen und eine Arbeitsschürze umzubinden, schlichen wir Kinder heimlich in den Stall, krochen in die Futterkrippen und versteckten uns hinter den dicken Leibern der Kühe, die zwar etwas unruhig wurden und brummten, jedoch keine Zeichen einer menschlichen Sprache von sich gaben.
Kaum hatten wir uns genügend getarnt in dem schummerigen Stall, in dessen Fenster nur das fahle Mondlicht gespenstisch einfiel, kam auch schon Oskar durch die Tür. Glücklicherweise knipste er die elektrische Beleuchtung nicht an, sondern setzte sich im Dunkeln mitten in dem Futtergang auf einen Melkschemel. Wir beobachteten ihn genau und wagten kaum zu atmen. Es war eine unheimliche und gespannte Atmosphäre. Und als vom nahen Kirchturm die Uhr Mitternacht verkündete, wurden wir Kinder doch ein wenig ängstlich, denn auch in unseren Dorfkinder-Gehirnen spukte ja noch so mancher Aberglaube. Wer garantierte uns schon, dass die Tiere nicht tatsächlich sprachen?
Doch nachdem schon mehrere Minuten vergangen waren, blieb es immer noch still im Stall, das Vieh atmete ruhig, nur Oskar saß gespannt lauschend im Mondlicht, und uns Kindern wurde bei diesem Anblick ganz kribbelig zumute.
Plötzlich kam ein unartikuliertes Brummen aus einer Ecke des Stalles, in der die Kuh „Thusnelda“ lag. Dann hörte ich die verstellte Stimme meines Bruders, die zu mir herüberrief:
„Schwarzbunte, bist Du wach?"
Ich brummte zurück: „Ja, Thusnelda, ich bin wach. Es ist Heilige Nacht, da können wir wieder miteinander reden."
„Vorsicht", kam da die verstellte Stimme meiner Schwester aus einer Futterkrippe, „sagt nicht zuviel, der dumme Oskar sitzt auf dem Melkschemel und hört uns zu, dieser neugierige Schuft!"
Ich hätte vor Lachen fast nicht antworten können, denn ich sah, wie Oskar sich empört umdrehte, um festzustellen, welche Kuh das gesagt habe. Um zu verhindern, dass er nicht zu meiner Schwester hinüberging, sagte ich schnell in tiefstem Bass:
„Oskar versteht uns doch nur halb. Er kriegt alles in den falschen Hals, den schlecht gewaschenen!"
„Wir wollen uns von ihm nicht stören lassen", sagte meine Schwester, „Schwarzbunte und Thusnelda, ihr guten Kühe, sagt uns an, was auf dem Hof im nächsten Jahr geschehen wird?"
„Schon morgen wird der Hund Moritz, der uns im Sommer sooft in die Hacken beißt, blind werden!" war die Antwort meines Bruders, und er setzte noch hinzu: „So wahr ich Thusnelda heiße!"
„Und am zweiten Weihnachtstag", sagte ich, „wird die hübsche Selma ihrem Oskar den Verlobungsring vor die Füße werfen!"
Als Oskar das hörte, sprang er auf und krächzte: „Was sagst Du da, Schwarzbunte? Selma gibt mir den Ring zurück?"
„Ja, guter Oskar", brummte meine Schwester, „Selma hat erfahren, dass Du auf das Wort der Bauersfrau nicht hörst, so glaubt sie, daß Du auch auf sie nicht hören wirst, wenn sie Deine Frau wird."
Da sackte Oskar stöhnend auf seinem Schemel zusammen. Um ihm den Rest zu geben, rief mein Bruder noch einmal:
„Und auf dem Sylvesterball wird Oskar von den Nachbarjungen windelweich geprügelt und am Neujahrstag wird er sich ein Bein brechen.
Da hielt Oskar es nicht mehr länger aus. Er rannte aus dem Stall und schlug die Tür krachend zu. Wir beobachteten aus dem Fenster, dass er in seine Kammer lief und die Gardinen zuzog. Diese Gelegenheit benutzten wir schnell, um uns heimlich ins Haus zurückzuschleichen. Wir erzählten das aufregende Erlebnis Vater und Mutter und konnten noch lange vor Lachen nicht einschlafen.
Am anderen Morgen waren wir schon wieder zeitig am Frühstückstisch, um Oskar auszufragen, was die Tiere denn nun gesprochen hätten. Doch er war diesmal sehr schweigsam; es war nichts aus ihm herauszubekommen. Schließlich bedeutete er uns nur, wir sollten auf den Hund aufpassen, denn der könne blind werden. Aber der Tag verging, und unser Moritz blieb gesund und munter.
Am nächsten Morgen, dem zweiten Weihnachtstag, fragten wir Oskar, weshalb denn seine Prophezeiung nicht eingetroffen sei, doch er antwortete uns nur wütend:
„Wartet nur ab, was heute passieren wird mit der Selma!"
Nun, Selma kam, war freundlich und lustig wie immer zu uns allen und besonders zu ihrem Oskar. Aber der beachtete sie heute gar nicht. Er empfing sie mit einem sauer-töpfigen Gesicht und fragte sie streng:
„Trägst Du meinen Ring auch noch?"
Selma verstand gar nicht, was ihr Oskar meinte. Doch der schrie sie an: „Das wirst Du wohl wissen, was ich meine, wirf mir den Ring nur gleich vor die Füße, ich weiß genau, dass Du es tun willst."
Nun begriff Selma erst recht nichts mehr. Doch war sie nicht die Person danach, die mit sich in dieser Sprache reden ließ. Sie antwortete ihrem Oskar genau so frech, ein Wort gab das andere, und was wir im Scherz vorausgesagt hatten, trat nun wirklich ein: Selma warf ihrem Oskar den Ring vor die Füße!
„Ich hab's gewusst! Ich hab's gewusst, ich hab's im voraus schon gewusst!" schrie Oskar hinter ihr her, „die Kühe haben es mir in der Christnacht prophezeit!"
Nun waren wir Kinder doch etwas betreten und aus der Fassung gebracht über das, was wir angerichtet hatten. Denn das hatten wir ja nicht gewollt. Doch meine Mutter wusste Rat. Sie ging hinter Selma her und erklärte ihr den ganzen Sachverhalt. Nun, Selma nahm uns Kindern den Spaß nicht übel, sie verzieh uns auf der Stelle, ja, sie freute sich sogar, dass wir ihrem Oskar mit seinem übertriebenen Aberglauben diese Lehre erteilt hatten. So ließ sie ihren Bräutigam noch gehörig zappeln und machte keinerlei Anstalten, sich mit ihm zu versöhnen.
Darüber war Oskar untröstlich, denn er liebte seine Selma sehr. So betrank er sich tatsächlich zu Sylvester und wäre beinahe in eine Schlägerei geraten.
Aber inzwischen hatte sich die ganze Geschichte schon im Dorf herumgesprochen, und so taten die Nachbarjungens Oskar nichts zuleide. Das wunderte Oskar sehr und beunruhigte ihn.
Als dann der Neujahrstag zu Ende ging, ohne dass er sich ein Bein brach, da begann Oskar doch langsam an der Wahrheit der Prophezeiung zu zweifeln.
Nach zwei Wochen kam Selma wieder einmal wie zufällig auf unseren Hof. Zu diesem Zeitpunkt war Oskars „Glaube an den Aberglauben“ schon ziemlich erschüttert. So bedurfte es nicht mehr vieler Worte von seiten seiner Braut, um ihn wieder zum Sprechen zu bringen.
Langsam hatte Oskar auch schon durch spitze Bemerkungen und Sticheleien läuten hören, dass wir Kinder ihn zum Narren gehabt hatten und er ein Opfer seines eigenen Wahns geworden war.
So gelobte er schließlich seiner Selma, auf ewig von diesem „Spinnenkraom“ zu lassen, wenn er mit ihr erst vor den Altar getreten sei. Und das hat er denn auch getan und sein Wort gehalten.

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