Bildung einer jüdischen Gemeinde

Die Niederlassung in den Städten Hinterpommerns war im 17. und 18. Jahrhundert nur wenigen jüdischen Familien erlaubt. Die entsprechenden Schutzbriefe bzw. Privilegien waren an Bedingungen geknüpft, die nur begüterte Juden erfüllen konnten. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts werden daher nur einzelne Familien erwähnt: 1705 und 1712 Aaron Jacob, 1713 Josef Wolff Moyses, 1718 Amsel Liebmann, 1719 Moses Lazarus und 1735 Moses Abraham.

Für 1737 nennen die statistischen Angaben eine Gesamtzahl von 96 jüdischen Personen in den Städten Belgard, Bublitz, Körlin, Köslin, Pollnow, Regenwalde, Schlawe, Stolp und Zanow, davon in Stolp 27 Personen bei insgesamt 2.600 Einwohnern. Im Jahr 1764 werden Lewin Moses, Lazarus Moses, Josef Liebmann und Isaac Moses mit Familien in Stolp genannt. Erst in den darauf folgenden Jahren wächst die kleine Gemeinschaft der Juden in Stolp allmählich an. 1782 sind es 40 Personen, 1794 um 39 Personen, 1812 dann schon 63 Personen. Damit ist eine Größenordnung erreicht, bei der man von einer Gemeinde sprechen kann. Aber offiziell wird für die jüdische Gemeinde in Stolp die Zeit von 1705 bis 1942 angegeben.

In den Folgejahren nimmt Stolp eine große Anzahl neuer jüdischer Zuwanderer auf. Die Statistik nennt dazu folgende Zahlen für die jüdischen Einwohner:
1816: 135, 1831: 239, 1843: 391, 1852: 599, 1861: 757, 1871: 879, 1880: 958. Um diese Zeit beginnt eine Abwanderung nach Berlin, weil man sich dort bessere Bedingungen für eine Existenz erwartet. Folglich nehmen zum Ende des 19. Jahrhunderts auch in Stolp die Zahlen der jüdischen Einwohner ab. 1905 sind es noch 548 und 1925 nur noch 469. 1931 leben nur noch 160 jüdische Familien in der Stadt.

Synagoge, Gemeindehaus, Schule, Wohnheim für ältere Ehepaare im Ruhestand und Friedhof

Eine erste Planung für den Bau einer Synagoge ist aus dem Jahr 1749 bekannt. Sie wurde aber vermutlich nicht weiter verfolgt. Erst 1840 entsteht eine Synagoge in einem Hinterhof, von der später Synagogenstraße genannten Straße aus nicht einsehbar. Sie wird über 60 Jahre genutzt, bevor 1902/1903 eine neue Synagoge in der Arnoldstraße errichtet wird. Diese enthält neben dem eigentlichen Gottesdienstraum noch eine zweite, kleinere sogenannte Wochentagssynagoge und einen Sitzungssaal für Vorstand und Repräsentanten. Gleichzeitig mit dem Bau der neuen Synagoge läßt die Gemeinde auch ein Gemeindehaus mit drei großen Wohnungen für die Gemeindebeamten in der Arnoldstraße bauen.

Zur Zeit des Baus der ersten Synagoge wird auch eine jüdische Schule eingerichtet. Vorher gab es nur Religionsunterricht durch den jeweiligen Kantor. 1841 werden der Regierung in Köslin die ersten Schulpläne vorgelegt und 1854 wird der Religionsschule eine Elementarschule angeschlossen. Rabbiner Dr. Klein ist Leiter der Schule. Zeitweilig finden auch nichtjüdische Lehrer eine Anstellung bei der Elementarschule, in welcher auch Latein unterrichtet wird, um den Schülern den Eintritt in das Gymnasium zu ermöglichen. Weiterhin wird dort Deutsch, Rechnen, Geschichte, Geografie, Zeichnen, Sprach- und Denkübungen sowie Gesang unterrichtet. In der Religionsschule bekommen die Schüler eine Unterrichtung in Hebräisch-Elementar, Hebräisch-Lesen, Gebetübersetzung, jüdische Geschichte, jüdisches Schreiben, Bibelübersetzung und biblische Geschichte. Die Elementarschule zählt zur Gründerzeit 31 Schüler, die Religionsschule 30 Jungen und 16 Mädchen. Als langjährige Mitglieder im Schulvorstand sind bekannt: Nathan Blau, M. Frank, L. Michaelis, D. Friedländer und G. Philipsthal.

Der Stolper Kaufmann Raphael Wolff hinterlässt der jüdischen Gemeinde ein Vermächtnis mit der Auflage, dass davon ein Wohnheim für ältere, im Ruhestand lebende Ehepaare gebaut und unterhalten werden solle. Das Haus wird daraufhin an der Bütower Straße errichtet, mit ca. 14 Ein- und Zweizimmerwohnungen und einem schönen Garten. Das Legat bestimmt auch, dass die Wohnungen je zur Hälfte an jüdische und nichtjüdische Personen vergeben werden sollen.

Die Stadt Stolp legt 1796 im nordöstlichen Teil einen Friedhof an. Die jüdische Gemeinde erhält 1815 den nordwestlichen Teil dieses Geländes. Bis dahin mussten die Toten im ca. 60 km entfernten Lauenburg bestattet werden. Der älteste Teil des Synagogen-Friedhofs grenzt an den städtischen Friedhof. Der mittlere Teil wird von ca. 1870 bis etwa 1900 genutzt. Im unteren Teil befinden sich Kindergräber und er wird für Bestattungen ab 1900 genutzt.

Rabbiner, Kantoren und Gemeindevorstand

Rabbiner
1841-1860: Dr. Josef Klein (Ging von Stolp in die niederschlesische Stadt Glogau)
ca. 1861-1898: Dr. Salomon Hahn
Um die Jahrhundertwende für zwei Jahre: Dr. Elias Kalischer aus Pasewalk (Ging von Stolp nach Bonn)
1902 bis Anfang 1936: Dr. Max Joseph aus Posen (Trat in den Ruhestand und zog nach Haifa, wo er 1950 starb)
Dessen Nachfolger, Dr. Salomon Herbst, blieb nur ein Jahr in Stolp (Wanderte später in die Vereinigten Staaten aus)
Bis 1939: Wilhelm Teichner aus Hirschberg, letzter Rabbiner (Floh nach Schanghai und starb dort während der Kriegsjahre)

Kantoren
Vor 1900: A. Meyrowitz (viele Jahre Kantor und Schächter)
Danach: Heinrich Lewit
Nach den Ersten Weltkrieg: Hugo Löwenthal
Gefolgt von: S. Werblowski
Joachim Lachotzke aus Schneidemühl (Blieb bis zur Deportierung 1942 in Stolp)

Vorstand der Gemeinde
Dr. Aron (Wanderte aus)
Dr. Arnold Meyer (Lebte später in Jacksonville, Florida)
Dr. Neumann, Zahnarzt
Emil Gottschalk (Letzter Vorsitzender, Besitzer eines Fischgeschäfts in der Holstentorstraße, Ecke Bismarckplatz)

Das Ende der jüdischen Gemeinde

Am 9./10. November 1938, in der Pogromnacht, bleibt auch die Synagoge in Stolp nicht verschont. Der Brand selbst erzeugt aber nur geringe Schäden an dem Gebäude. Es wird daher zur endgültigen Zerstörung gesprengt. Die jüdische Gemeinde muss die Trümmer abtragen. Dem damaligen Oberbürgermeister von Stolp, Dr. Sperling, gelingt lediglich die Rettung der Gebäude der Raphael-Wolff-Stiftung. Die Gestapo macht selbst vor den Toten nicht halt. Sie zwingt 1941 die jüdische Gemeinde, ihren Friedhof zu verkaufen. Nur die Friedhofshalle und das Eingangstor sind noch Zeugen der Vergangenheit. Die Renovierung der Umzäunung des Synagogengrundstücks zur Arnoldstraße hin, heute Niedziałkowskiego, wurde im Juni 2006 fertiggestellt und von den Enkeln des Rabbiners Dr. Max Joseph gestiftet. Am Eingang links und rechts sind Gedenktafeln angebracht.

Als im Oktober 1941 die Auswanderung von Juden aus dem deutschen Reichsgebiet verboten wird, haben sich vor dieser Zeit etwa die Hälfte der Stolper Juden retten können, mehr als 200 aber bleiben zurück. Am 10. Juli 1942 werden alle jüdischen Personen unter 65 Jahren aus Stolp antransportiert, vermutlich nach Auschwitz. Ende August 1942 folgen auch die älteren Personen. Überlebende beider Transporte sind nicht bekannt.

(Das ganze Ausmaß der Verbrechen an den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Stolp kann in diesem kurzen Artikel nicht annähernd beschrieben werden. Es wird daher die Lektüre der u.a. Veröffentlichung von Margret Heitmann und Julius H. Schoeps sehr empfohlen.)

Personenstandsregister

In der "Familiendatenbank Juden im nördlichen Teil des ehemaligen Deutschen Reiches" sind die Aufgebotsakten des Standesamts Stolp 1883-1939 zu finden. Die Abschriften stammen von Juliane Sarnes. Eine Liste der Namen mit Links zu den Details finden Sie bei genealogienetz.de.

Quellen

  • http://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Synagogue_in_S%C5%82upsk (Gedenktafeln am Eingang des ehemaligen Synagogengrundstücks in der Arnoldstraße)
  • Heitmann, Margret/Schoeps, Julius H. (Hrsg.): „Halte fern dem ganzen Lande jedes Verderben …“. Geschichte und Kultur der Juden in Pommern, Hildesheim–Zürich–New York 1995
  • Pagel, Karl-Heinz: Stolp in Pommern - eine ostdeutsche Stadt, Lübeck 1977, S. 234-238
  • Salinger, Gerhard: Die jüdische Gemeinde in Stolp. In: Heitmann, Margret/Schoeps, Julius H. (Hrsg.): „Halte fern dem ganzen Lande jedes Verderben …“. Geschichte und Kultur der Juden in Pommern, Hildesheim–Zürich–New York 1995, S. 163–172

(Peter Kohlhas)

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