Erinnerungen

Ein Neffe des letzten Gutsbesitzers und Bürgermeisters in Quackenburg schreibt:

Otto Ratzke in Quackenburg war der jüngere Bruder meines Vaters Richard Ratzke in Heinrichsfelde bei Weitenhagen. Als Kind war ich des öfteren mit meinen Eltern oder auch allein zu Besuch in Quackenburg. 1976 war ich mit meinem Onkel Otto Ratzke nochmal in Quackenburg. Er hatte ein gutes Erinnerungsvermögen und konnte  auch gut erzählen. Einige der Episoden sind mir in der Erinnerung geblieben, daher will ich diese an Sie weiter geben:

Vor dem Einmarsch der sowjetischen Armee war die Labuhner Brücke vom deutschen Militär für die Sprengung vorbereitet worden. Ich glaube mich  noch dunkel erinnern zu können, dass mein Onkel  mir damals die Seemienen zeigte, die wie riesige schwarze Wespennester unter der Betonbrücke hingen. Als sich das Militär zurückzog, sollte mein Onkel, der in den letzten Jahren Bürgermeister von Quackenburg war, auf fernmündlichen Befehl hin die Brücke sprengen. Nun zog  in den letzten Tagen aber ein endloser Treck über die Labuhner Brücke. Die Trecks wurden ja damals über  die Nebenstrassen geleitet, um die Hauptstrassen für das Militär frei zu halten. Eine Sprengung hätte in jeder Hinsicht eine Katastrophe ausgelöst.
Andererseits war man damals  bei Befehlsverweigerung nicht gerade zimperlich. In seiner Gewissensnot rief Otto Ratzke daraufhin den Kreisparteileiter in Stolp an, der nun salomonisch entschied: Wenn das Militär die Brücke zur Sprengung vorbereitet hat, so soll es selber sprengen. So war es dem damaligen Kreisparteileiter zu verdanken, dass die Brücke noch heute steht.

Otto Ratzke wurde 1945, nach der Rückkehr von der Flucht, in Stolp gefangen gesetzt und furchtbar misshandelt. Durch einen Zufall entging er der Deportation in den Ural. Er erkrankte an Typhus und schleppte sich bis kurz vor Quackenburg. Dort fanden ihn die Töchter seines Schweizers im Chausseegraben und holten ihn auf einem Handwagen ins Dorf. Die sowjetischen Soldaten hatten inzwischen Informationen über ihn im Dorf gesammelt. Diese müssen gut ausgefallen sein, denn er wurde sofort wieder mit der Bewirtschaftung seines Gutes beauftragt und sogar zu den "Prasdniks" der sowjetischen Soldaten eingeladen (Feiern, die regelmäßig in einem Saufgelage enden).

Einmal strich Otto Ratzke einem jungen Fohlen, das  auf dem Hof frei herumlief, über den Rücken. Das sah ein sowjetischer Soldat. Er riss sofort die Maschinenpistole hoch und wollte ihn auf der Stelle erschießen. Nach furchtbarem Lamento stellte sich heraus, dass dieser Soldat wahrscheinlich ein Kirgise oder Kalmücke war, bei denen Pferde einen hohen Stellenwert haben. Einem  Fohlen über den Rücken zu streichen, bedeutete bei denen aber Unglück für das Tier.

Otto Ratzke musste für die sowjetischen Soldaten  eine Kuh schlachten. Wobei die sowjetischen Soldaten danach gründlich kontrollierten, dass kein Fleisch abgezweigt wurde. Aber Hunger tut nun mal weh. Zum Glück hatte er einen Ostpreussen  zur Hilfe. Der wußte nun, dass es am wenigsten auffällt, wenn man  den Hals der Kuh etwas einkürzt. Und so fiel für beide auch noch etwas ab.

Otto Ratzke und sein Bruder Hans Ratzke aus Friederikenhöhe bei Wobeser waren in den Kellerräumen des Stolper Gymnasiums in der Arnoldstraße mit Hunderten anderer gefangen. Beim morgendlichen Apell wurde der Jahrgang 1900  (Hans) aufgerufen. Otto meldete sich auch, um mit seinem Bruder zusammen zu bleiben. Der sowjetische Soldat ließ die Listen vergleichen und schickte ihn zurück. Der Jahrgang 1900, zu dem auch der Quackenburger Pastor Lechner gehörte, wurde in den Ural (Stadt Uralsk) deportiert. Der kerngesunde Hans überlebte die Strapazen nicht. Der kränkliche Pfarrer Lechner kam zurück und überbrachte der Familie die Todesnachricht. Otto Ratzke starb am 03. 04. 1995 in Kiel Schilksee.

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