Herbstreise in die Stolper Lande

von Henry Kuritz (Kommentare: 1)

Das erste Herbstwochenende war – dessen waren alle Teilnehmer am Ende überzeugt – genau der richtige Reisetermin für diesen ein­wöchigen Ausflug in die frühere Heimat in Stolps Umgebung. Waltraud Schlichting hatte in der Pommerschen Zeitung bereits am 13. Juni 2009 auf ihre Reiseplanung für 24.bis 29. September aufmerksam gemacht und zur Teilnahme eingeladen; und dieses mit großem Erfolg, wie der mit 40 Personen voll besetzte, bequeme Reise­bus der bewährten und erfahrenen Firma Busche zeigte.
 
Erfahrungsgemäß beansprucht die Anreise von Rodewald über Hamburg und Birkenwerder nach Stolp stets einen ganzen Tag (von Hamburg ca. 660 km), so dass man erst am Abend des 24. September das Hotel Lubicz in Stolpmünde (Ustka) und das mittlerweile schon ersehnte Abendessen erreichte, welches appetitlich und lecker vorbereitet war.
 
Freitag, 25. September, war dem Besuch einiger Dörfer gewidmet. Auf der Fahrt nach Stolp (Słupsk) bogen wir vor Überquerung der Flinkower Mühlenbach-Brücke in die Dorfstraße nach Neu Flinkow (Włynkowko) ein, auf welcher man unmittelbar ins frühere Neumühl und damit an den zur ehemaligen Wassermühle gehörenden idyllischen Mühlenteich gelangt, ehedem im Besitz der alteingesessenen Familie Max Albrecht. Parallel zur Stolpe (Słupia) und stromabwärts führte auf schmaler Straße die Fahrt nach Flinkow (Włynkowo), wo in Dorf­mitte an der Stelle des früheren Gefallenen-Ehrenmals die deutschen Flinkower Einwohner einen Gedenkstein stifteten und 1997 errichteten. Dieser wurde erst kürzlich nach zwölf Jahren fachmännisch renoviert und mit erneuerter deutscher und polnischer Inschrift versehen: „Den Toten von Flinkow zum Gedenken – Ku Czci Zmarlych z Włynkowa“. Daß diese Erneuerung ein gelungenes und ansprechendes Werk war, davon konnten sich alle Heimatfreunde, besonders aber die Flinkower überzeugen. Hier ist besonders die tatkräftige und aufopferungsvolle Unterstützung von Isabel Sellheim, Vorsitzende von „Stolper Heimat­kreise e.V.“, dankend hervorzuheben.
 
Ein Wiedersehen mit den bekannten Sehenswürdigkeiten in Stolp schloss sich an: fachkundige Führung unseres Reiseleiters Andrzej Machutta im Treppenhaus, Sitzungssaal und Turm des Rathauses, in der früheren Schlosskirche (Swieta Jacka) mit ihrer hörenswerten Barockorgel und in den Wallanlagen, dem früheren Rosengarten. Auch die neu entstandenen Wohnviertel östlich des Stadtkerns mit dem weiten Blick über die Stolpeniederung und die im Bau befindliche südliche Verkehrsumgehung fanden großes Interesse. Das Dörfchen Krampe (Krępa Słupska), bereits im Landschaftsschutzpark gelegen, mausert sich zu einer bevorzugten Wohnregion betuchter Stolper, wie uns die stilvollen Bungalows und Villen zeigten.
 
Die Rückfahrt nach Stolpmünde schloss auch einen Abstecher in das zu Klein Strellin (Strzelinko) gehörende Ausflugslokal „Charlotten­tal“ (Dolina Charloty) ein, einem neben der „Samelower Mühle“ gelegenen, bei den Stolpern ehedem sehr beliebten Erholungsziel, welches heute wiederum angesichts seiner idyllischen Lage unver­ändert viele Besucher, Einheimische wie Touristen, anzieht. Nach Passieren der Dörfer Groß Strellin (Strzelino), Überlauf (Galzinowo), Friedrichsthal (Wielichowo) und Horst (Peplino) empfing uns in Dünnow (Duninowo) Pfarrer Jerzy Wyrzykowski und zeigte uns seine Dorfkirche mit dem sorgsam gepflegten Interieur. Hierbei fielen den Besuchern besonders die von Nicolaus von Below und Rudolf von Croy (ehedem Patronatsherren der Kirche) 1889 gestifteten kunstvollen Kirchenfenster auf, auch geziert durch die Familienwappen der Patronate. Diese Kirche mit dem massiven Westturm wurde im 15. Jahrhundert erbaut. 1615 wurde die Grabplatte des ritterlichen Geschlechts von Krümmel und von Below geschaffen. Dieser unter dem Namen „Krümmelstein“ bekannte Epitaph steht in der Turmvorhalle und fällt durch seine zahlreichen Familienwappen verwandter Adelsgeschlechter auf. Der etwas abseits der Kirche gelegene alte Friedhof wird auch wieder für die Verstorbenen des Dorfes genutzt, einschließlich der dortigen Kapelle, für deren dringende Dachrenovierung Waltraud Schlichting eine sehr erfolg­reiche Spendenaktion gestartet hatte, natürlich zur Freude des dankbaren Dorfpfarrers und seiner Gemeinde. So war bereits der erste Aufenthaltstag mit einem eindrucksreichen Programm ausge­füllt. Die noch verbliebene Zeit konnte jeder nach Rückkehr in Stolpmünde nach eigenem Belieben für einen Spaziergang durch die Stadt oder an den Strand mit kräftigem auflandigem Wind nutzen.
Der folgende Samstag wurde eingeleitet durch einen feierlichen ökumenischen Gottesdienst in der Mützenower Dorfkirche, gemeinsam gestaltet von dem Dünnower Pfarrer, seinem evangelischen Amts­bruder Froehlich aus Stolp und einem katholischen Ordensbruder aus Italien, der Pommern besuchshalber bereiste und dessen Vater in Saleske geboren wurde. Dieser Troika standen zwei beflissene Ministranten hilfreich zur Seite. Auf den Gottesdienst folgte die Weihe des für alle sichtbar zwischen Ostgiebel und Straße errichteten Gedenksteins mit der Inschrift: „Zum Gedenken an alle Menschen, die hier bis 1945 gelebt haben – Pamieci Wszystkich Ludzi Ktorzy Tu Mieszkali Do 1945 r. – Psalm 23“. Für die gute und liebevolle Pflege und Wartung der Mützenower Kirche durch die Ein­heimischen kann man nur sehr dankbar sein. Die Verbundenheit der Gemeinde mit ihrer Kirche zeigte sich auch durch eine rege Betei­ligung an der Einweihungsfeier und an der anschließenden Einladung zu Kaffee und Kuchen im Dorfgemeinschaftshaus. Ein Rundgang durch die Dorfstraßen schloss diesen Aufenthalt ab und leitete über zum Besuch der Imkerei in Steinwald (Krzemienica) mit einem privaten kleinen Imkereimuseum und Möglichkeit zum Honigkauf. Nur einen Steinwurf entfernt gelangt man nach Schwolow (Swolowo), wo der Museumshof Albrecht mit seiner reichhaltigen Ausstellung und den für die pommersche bäuerliche Kultur und Arbeitswelt bezeichnenden Exponaten im Mittelpunkt des Interesses, aber auch der ehrlichen Bewunderung über das inzwischen dort (wieder!) ins Leben Gerufene stand.
 
Die neu auf den Weg gebrachten Projekte wurden uns freundlich und ausführlich vom Leiter des Bauernmuseums, Dawid Gonciarz, erläutert und von Andrzej Machutta übersetzt. Man spürte die Freude und Befriedigung des Museumsleiters, in den umliegenden Dörfern ehemals ansässige Pommern als Gäste bei sich zu haben, also authentische Zeugen vergangener Zeiten, die einen unschätzbaren Beitrag zum heutigen Museumsdorf leisten können und dies auch gerne und bereit­willig tun, sei es durch Informationen, sei es durch Bereitstellung eigener Exponate. Schwolow bezeichnet sich heute in seiner Werbung, beispielsweise im Internet, als „Kariertes Ländchen Schwolow - ein europäisches dörfliches Kulturerbe“. Jedem, der in die früheren Stolper Lande reist und Schwolow noch nicht kennt, sei ein Besuch dringend ans Herz gelegt! Ein Mittagsimbiss im Museumsgasthof „Zum fröhlichen Pommern“ mit typisch polnischem Menue schloß diesen erinnerungsträchtigen Tag ab.
Sonntag, der 27. September, war einer Ganztags-Exkursion nach Danzig (Gdansk) mit fachkundiger Stadtführung und Rückfahrt durch die Kaschubische Schweiz (Pojezierze Kaszubski) vorbehalten. Parallel hierzu nutzten einige unserer Reisegruppe diesen Tag für private Besuche bei Bekannten in Stolpmünde, Stolp und den nahe liegenden Ortschaften, beispielsweise Flinkow, Symbow (Zebowo) und Reddenthin (Redecin), um alte Kontakte aufzufrischen. Der Abend vereinte alle wiederum beim gemeinsamen Abendessen.
 
Montag 28. September, der letzte Aufenthaltstag, führte uns heraus aus dem Stolper Land in Orte der ehemaligen Kreise Bütow (Bytow) und Rummelsburg (Miastko). Am Westrand des „Landschaftsschutz­parkes Untere Stolpe“ (Park Krajobrazowy Dolnia Slupia) gelangten wir über Kublitz (Kobylnica) nach Sellin (Zielin), dem Standort des Milchwerks Ser-Milk (29 km von Stolp entfernt), in dem seit einigen Jahren wieder der früher weltbekannte Camembert Stolper Jungchen gefertigt wird. Konnte man da widerstehen, sich mit reich­lich Käse-Proviant als Reise-Mitbringsel einzudecken?
 
Weiter ging’s 32 km nach Rummelsburg, von dort nach einer kurzen Stadtrundfahrt in Richtung Pollnow (Polanow) mit Ziel Groß Schwirsen (Swierzno), wo ein interessanter Bernsteinverarbeitungsbetrieb mit angeschlossenem kleinen Museum alter landwirtschaftlicher Gerät­schaften zu besichtigen war. Verführerischer Bernsteinschmuck, alles liebevoll handgearbeitet, lud zum Bewundern und zum Kauf ein. Ein weiterer Anziehungspunkt war die in Fachwerk errichtete, gut gepflegte Pfarrkirche mit einem hölzernen behelmten Turmaufsatz, deren Erhaltungszustand und ausführliche deutsche Beschreibung einschließlich aller Pfarrer seit 1576 darauf schließen ließ, daß hier die Nachfahren der früher auf Schwirsen ansässigen Patronatsfamilien von Lettow und von Massow kräftig finanziell bei der Erhaltung und Instandsetzung des Gotteshauses behilflich waren.
 
Noch älteren Ursprungs als diese Kirche sind die ehemalige Ordens­burg (erbaut 1390 bis 1405) und der Stadtkern von Bütow. Der Rundgang durch die wuchtige Burg, ihre Wehranlagen und Museums­räume war auch für diejenigen Mitreisenden wieder beeindruckend, die sie noch von früher in Erinnerung hatten.
Das alte Ordenshaus im Nordwestflügel ähnelt dem Hochmeisterpalast der Marienburg. Bütow hatte in seiner wechselvollen Geschichte seit jeher eine Randlage zwischen Pommern und Polen, nur 10 km von der 1918 gezogenen Grenze entfernt. In den Annalen von Burg und Stadt verwundert es daher nicht, wie oft Herrschaft und Besitz zwischen Ritterorden, Pommerschen Herzögen, Polen, Schweden oder Brandenburger Hohenzollern gewechselt haben, um nur einige zu nennen.
 
Letzte Sehenswürdigkeit dieses Tages und damit der Reise war die im ehemaligen Kreis Rummelsburg gelegene Fachwerkkirche Alt Kolziglow (Kolczyglowy) , in der sich Fürst Otto von Bismarck und Freiin Johanna von Puttkamer (diese im nahen Reinfeld/Barnowiec beheimatet) 1847 trauen ließen. Leider konnten die prächtigen erneuerten Fenster nicht vom Kircheninneren bewundert werden, doch trösteten wir uns mit der Inschrift auf dem Gedenkstein neben der Kirche: „Hier auf dem Hügel ist der alte Kirchhof. Bewahret diesen Platz würdig, so wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft.“ Diese Mahnung nahmen wir als würdigen Abschluss dieser eindrucksvollen Fahrt, die unsere Veranstalterin Waltraud Schlichting als "Heimatreise in den Kreis Stolp zum Gedenken an unsere Vorfahren" angekündigt hatte. Dass das gesamte Programm und alles, was gesehen, gehört und empfunden wurde, diesem Anspruch und Wunsch entsprach, dafür danken alle Heimatreisenden Waltraud aus tiefem Herzen.
 
Am 29. September, dem Rückreisetag, verabschiedete uns unser ebenso fürsorglicher wie kenntnisreicher Reiseleiter Andrzej Machutta, dem wir gleichermaßen zu Dank verpflichtet sind wie dem bewährten und aufmerksamen Lubicz-Hotel-Team. So erreichten wir abends Gott sei Dank ohne jede Unbill, wie Unfälle oder Erkrankungen, wieder unsere deutschen Heimatorte und freuen uns auf die Möglichkeit zukünftiger Reisen ins alte Pommern, insbesondere in die Stolper Lande.
 
Friedhelm Voll (früher Flinkow)
 

Unsere Reisegruppe

 Unsere Reisegruppe
Einweihung des Gedenksteines
Einweihung des Gedenksteines
Der Gedenkstein in Flinkow im Kreis Stolp
Der Gedenkstein in Flinkow im Kreis Stolp

Am Gedenkstein

Am Gedenkstein

 

Zurück

Einen Kommentar schreiben

Kommentar von Klix, Kerstin |

Suche dringen Bilder aus Krampe!!! Wir stammen von dort und alle Bilder sind auf der Flucht verloren gegangen. Liebe Grüße K. Klix